Alle Stellenbesetzungen und dienstlichen Beurteilungen der Finanzverwaltung NRW rechtswidrig!?

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Beurteiler müssen ihre Beurteilung unabhängig erstellen und dürfen nicht an Gremiumsbesprechung gebunden sein

Dienstliche Beurteilungen sind für Beamte wichtig: Für Beförderungen, Dienstpostenübertragungen, schlicht und einfach jede Auswahlentscheidung. Diese Entscheidungen können nur richtig sein, wenn die dienstlichen Beurteilungen rechtmäßig sind. Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 17.01.2014, Az. 19 K 5097/12

Hieran hat das Verwaltungsgericht Köln am vergangenen Freitag grundsätzliche Zweifel angemeldet. Die Finanzverwaltung muss jetzt darum bangen, dass alle dienstlichen Beurteilungen und alle laufenden Stellenbesetzungen rechtswidrig sein könnten.

Grundlegende Zweifel: Beurteiler sind nicht unabhängig!

Hauptkritikpunkt der 19. Kammer in der mündlichen Verhandlung am vergangenen Freitag war der Umstand, dass der Beurteiler des Beamten (hier: der Vorsteher des Finanzamtes) an eine Entscheidung der sogenannten Gremiumsbesprechung auf Ebene der Oberfinanzdirektion "gebunden" sein sollte. Eine derartige Bindung sehe das Beamtenrecht nicht vor. Der Beurteiler müsse weisungsfrei beurteilen können.

Zwar gibt es andere Beurteilungssysteme, die auch einen zweiten Beurteiler vorsehen. Dieser müsste dann allerdings auch Kenntnisse über die Tätigkeit des Beamten haben und dürfe nicht die Beurteilung des Vorstehers ersetzen. Daher könne man auch nicht die Gremiumsbesprechung als "zweiten Beurteiler" umdefinieren.

Ergebnis: Dienstliche Beurteilung aufheben und neu beurteilen

Mit dem Urteil hat das Verwaltungsgericht Köln die Oberfinanzdirektion Nordrhein-Westfalen verurteilt, die Beurteilung aufzuheben und den Kläger neu dienstlich zu beurteilen. Das Urteil hat grundsätzliche Bedeutung für alle Beurteilungen in der Finanzverwaltung, weil die Frage der "Bindungswirkung" in allen Verfahren aufgeworfen werden muss. Es wird erwartet, dass das Land Nordrhein-Westfalen gegen das Urteil vorgehen und das Oberverwaltungsgericht anrufen wird.

Neben der Frage der "Bindungswirkung" an die Gremiumsbesprechung hat das Verfahren auch eine Vielzahl weiterer Fragen aufgeworfen, die derzeit in der Rechtsprechung umstritten sind und diskutiert werden. Hierzu zählt beispielsweise das Verfahren, den Beamten anhand einer schlichten Beurteilung "durch Ankreuzen" zu bewerten. Dabei bleiben Unterkriterien unklar, die dazu geführt haben, dass bestimmte Punktwerte vergeben werden.

Ein konkretes Beispiel einer Ankreuzbewertung

Befähigungsbeurteilung (Zutreffendes bitte ankreuzen) 1 2 3 4
Kommunikationsfähigkeit   X    
-Ausdrucksfähigkeit
-Kontaktfähigkeit
-Gesprächsführungskompetenz
       

So wird regelmäßig das Kriterium "Kommunikationsfähigkeit" beurteilt. Es ist laut Beurteilungsbogen durch die Unterkriterien "Ausdrucksfähigkeit" , "Kontaktfähigkeit" und "Gesprächsführungskompetenz" hinterlegt. Sind diese drei Kriterien abschließend? Sind sie jeweils mit 33,33 % in die Bewertung einzubeziehen? Oder kann ein Mitarbeiter gute Punkte erhalten, wenn er nur eines der Unterkriterien besonders gut erfüllt, die anderen aber gar nicht? Handhaben dies alle Beurteiler gleichermaßen? Und wissen dies alle Leserinnen und Leser dienstlicher Beurteilungen? Sind die dienstlichen Beurteilungen der Finanzverwaltung überhaupt noch vergleichbar?

Die Antwort lautet wohl: Nein. Sind sie missverständlich und nicht plausibel, sind sie rechtswidrig.

Weitreichende Konsequenzen: Stellenbesetzungen in der Finanzverwaltung NRW sind nun rechtlich umstritten

Daher haftet allen laufenden Beförderungen, Dienstpostenübertragungen und Stellenbesetzungen der Makel der Rechtswidrigkeit an. Sie können in Eilverfahren durch unterlegene Bewerber angefochten werden.

Dies gilt noch umso mehr als die Verwaltungsgerichte Darmstadt und Hamburg, sowie in der vorletzten Woche das Oberverwaltungsgericht NRW grundsätzliche, systematische Bedenken gegen das Beurteilen durch Ankreuzen angemeldet haben.

Empfehlung: Klage oder Antrag auf Änderung

Nach derzeitiger Bewertung dürften alle dienstlichen Beurteilungen der Finanzverwaltung NRW an derart gravierenden Mängeln leiden. Beamten kann daher nur zu einer verwaltungsgerichtlichen Klage oder einem außergerichtlichen Antrag auf Änderung der dienstlichen Beurteilung geraten werden. Bevor die nächste Regelbeurteilung erstellt wird.

Die schriftlichen Urteilsgründe im konkreten Verfahren werden in den nächsten Wochen erwartet.

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